Das Projekt für die Digitalisierung der Justiz im Kanton Genf wurde schon bald nach dem Start von Justitia 4.0 ins Leben gerufen. Patrick Becker, Generalsekretär der Justizleitung Genf, erklärt dazu: «Wir haben ziemlich schnell gemerkt, dass das nationale Projekt Justitia 4.0 zwar einen Grossteil der Arbeit erledigen kann, dass aber die Mehrheit der Aufgaben von den Justizbehörden und den Kantonen gemacht werden sollte.» Dies betreffe sowohl die Anpassung der IT-Systeme als auch die Begleitung der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie ihrer Mitarbeitenden durch den digitalen Wandel. Um diesen Übergang so effektiv wie möglich zu gestalten, entschied die Justizleitung, frühzeitig ein Projektteam zu bilden und die notwendigen Vorbereitungen für den Start des Pilotprojekts zügig voranzutreiben.
Das Projekt begann im Kanton Genf mit der Gründung eines kleinen Projektteams unter der Leitung eines professionellen Projektmanagers. Unterstützung erhielt dieser von Experten aus den Bereichen IT und Recht, darunter ein Jurist sowie ein Gerichtsschreiber. In allen Justizbehörden wurden Ansprechpersonen ernannt, um eine enge Zusammenarbeit zwischen dem zentralen Projektteam und den Behörden zu gewährleisten. Einer der ersten Schritte des Projektteams bestand darin, die für das Projekt benötigten Ressourcen festzuhalten. Darauf aufbauend erarbeitete die Justizleitung einen Investitionskredit, der dem Staatsrat vorgelegt und schliesslich im Januar 2023 vom Grossen Rat gutheissen wurde. Darüber hinaus führte das Projektteam umfassende Vorstudien durch, um bestehende Prozesse zu analysieren und potenzielle Veränderungen durch die Einführung der elektronischen Gerichtsakte zu identifizieren. Technische Studien halfen laut dem Generalsekretär der Genfer Justizleitung bei der Beurteilung nötiger Anpassungen der IT-Systeme, und die Zusammenarbeit mit der kantonalen Verwaltung stellte sicher, dass auch die Anforderungen an die Gebäudeinfrastruktur berücksichtigt werden.
«Um einen Piloten zu starten, sollte ein Kanton zuerst ein kleines Projektteam zusammenstellen, und überprüfen, ob er genügend verfügbare Ressourcen hat. Als Nächstes gilt es, mit dem Projektteam Justitia 4.0 zusammenzuarbeiten. Ich würde sagen, die Kontaktaufnahme mit dem Projektteam Justitia 4.0 ist der erste Schritt im Piloten, um die Spielregeln festzulegen und den Piloten richtig zu planen.»
Die Zusammenarbeit mit dem Genfer Anwaltsverband spielt gemäss Becker eine zentrale Rolle bei der Pilotierung der Plattform justitia.swiss. Daher informiert die Justizleitung den Verband regelmässig über den Projektfortschritt und die Spielregeln des Piloten. Das Gericht identifiziert Verfahren, die digital abgewickelt werden können, und nimmt Kontakt mit den Anwälten der betroffenen Parteien auf. Um sicherzustellen, dass alle Beteiligten informiert sind und es keine Überraschungen gibt, müssen die Anwälte ihre Zustimmung zur digitalen Abwicklung des Verfahrens geben. Diese Zustimmung wird durch die Unterzeichnung einer Verfahrensvereinbarung festgehalten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang laut Becker, dass Verfahrensparteien keine Nachteile erleiden dürfen, weil die Justizleitung etwas Neues ausprobiert.
Obwohl die Teilnahme an einem Pilotprojekt mit sich bringe, dass man mit nicht vollständig entwickelten Werkzeugen arbeite und Anfangsschwierigkeiten in Kauf nehmen müsse, sah die Justizleitung in Genf klare Vorteile im frühzeitigen Start. «Pilotbehörde zu sein, bedeutet auch, eine Bewegung zu initiieren, es erlaubt, die Menschen sehr früh zu sensibilisieren und sie so konkret wie möglich auf die Reformen einzustimmen, die auf sie zukommen», so Patrick Becker. Er betont, dass viele Mitarbeitende bereits das Potenzial der neuen digitalen Werkzeuge erkennen, auch wenn es einige Herausforderungen gibt. Auch jenen, die weniger enthusiastisch seien, sei bewusst, dass die Zivilgesellschaft von der Justiz erwarte, in Sachen Digitalisierung vorwärtszumachen.
Die grössten Herausforderungen beim Pilotprojekt sieht Becker in drei Bereichen: Erstens sei das Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz noch nicht in Kraft, was die Arbeit mit qualifizierten elektronischen Signaturen erschwere, weshalb eine qualifizierte elektronische Signatur für das Unterzeichnen der Dokumente nötig sei. Zweitens mache die hohe Arbeitsbelastung der Justizbehörden es schwierig, zusätzlich zur täglichen Arbeit an einem Projekt mit unvollständigen Werkzeugen mitzuwirken. Drittens sei die Plattform selbst noch nicht perfekt, was zu weiteren Problemstellungen führen könne. Becker empfiehlt anderen Kantonen, die sich an der Pilotierung beteiligen möchten, klein anzufangen, ein spezialisiertes Projektteam zusammenzustellen und sicherzustellen, dass alle Partner, insbesondere die kantonalen Informatikdienste, über ausreichende Kapazitäten verfügen. Wichtig sei auch die enge Zusammenarbeit mit Justitia 4.0, um den Piloten richtig planen und die festgelegten Fristen einhalten zu können.
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